Die historischen Spielstätten des Sportklub Rapid 1897-2014
Mit dem Abriss des Gerhard Hanappi Stadions ging eine Ära zu Ende. Das Ende 1977 als Weststadion eröffnete Stadion möchten wir zum Anlass nehmen, um die bisherigen Spielstätten des SK Rapid zu beleuchten und auf die bedeutendsten Orte in unserer 117-jährigen Geschichte zurückzublicken.
„Die Gründung des 1. Wiener Arbeiter Fußball-Clubs vollzog sich im September 1898“ steht fälschlicherweise in Roland Holzingers Rapid-Chronik geschrieben. Tatsächlich fand die Gründung bereits mehr als ein Jahr davor, am 22. Juli 1897 statt, dem Tag, an dem die Gründung von der k u. k. Vereinspolizei genehmigt wurde. Vieleher war es lediglich der erste Spielbericht, der im September 1898 in der Presse erschien. Dieser Irrtum hält sich immer noch hartnäckig in den Köpfen vieler Rapidler, weshalb wir ihn auch hier nicht unerwähnt lassen wollen.
Bereits am 5.Mai 1898 war im Neuen Wiener Abendblatt zu lesen: „Der 1. Wiener Arbeiter Fußball-Club, welcher es sich zur Aufgabe gemacht hat, den in Wien so beliebt gewordenen Fußballsport auch unter den sportfreundlichen Kollegen der arbeitenden Klasse einzuführen, ladet hiermit alle ernstlich sportgesinnten Arbeiter ein, dem Club, der bereits über eine Anzahl guter und geschulter Spieler verfügt, beizutreten“. Für die erste Partie gegen den Meidlinger Fußballklub brachten die Gründerväter um Robert Lowe sen., dem Direktor der Hutfabrik Böhm und Spielertrainer der »Cricketer«, gerade einmal neun Spieler zusammen. Gegen die ebenfalls nur mit neun Spielern angetretenen Meidlinger wurde ein 1:1 errungen. Beim Revanchespiel wurde bereits mit elf gegen elf gespielt, und auch diese Begegnung endete mit einem 3:3 unentschieden. Die Erfolge der „sportgesinnten Arbeiter“ blieben jedoch anfänglich aus. Bei einem Torverhältnis von 13:107 wurde nur eines der ersten 19 Spiele gewonnen. Das Kaiser-Franz-Joseph-Jubiläumsturnier anlässlich der 50-jährigen Thronbesteigung von Franz Joseph I, mit zwölf teilnehmenden Mannschaften am 18. September 1898 auf der Hohen Warte beendete Rapid auf dem letzten Platz. Vermutlich auch aufgrund der chronischen Erfolglosigkeit strebte die Vereinsleitung Veränderungen an. Der programmatische Begriff „Arbeiter“ im Vereinsnamen führte im konservativen Klima des Luegerschen Wien, als die organisierte Arbeiterschaft als Bedrohung wahrgenommen wurde, vermutlich zu Schikanen und Hindernissen. Vereinssekretär Wilhelm Goldschmidt, ein Mann mährisch-jüdischer Herkunft, der 1942 von den Nazis deportiert und in einem Vernichtungslager ermordet wurde, schlug den Namen „Sportklub Rapid“ vor. Als Vorbild diente ihm wahrscheinlich der zu dieser Zeit erfolgreich spielende Berliner Verein „Rapide 93“. Aufgrund einer am 8. Jänner 1899 erschienen Pressenotiz über diese Umbenennung gilt dieser Tag als das offizielle Gründungsdatum des SCR. Vom harten Vorstadtleben um einem besonderen Klassenbewusstsein im Westen Wiens geprägt, behielt Rapid trotzdem sein proletarisches Selbstbewusstsein und grenzte sich auch nach der Namensänderung von der bürgerlichen City ab. Vorerst bewirkte die Umbenennung keine sportliche Verbesserung. 1899 konnten lediglich zwei Spiele gewonnen werden. In der ersten, 1900 von der „Fußball-Union“ gegründeten Meisterschaft, spielte Rapid in der zweiten Klasse.
Auf der Schmelz
Bis zum Frühjahr 1903 wurden die Spiele auf dem „Schmelzer Exercierfeld“ vor der heute noch bestehenden Radetzkykaserne ausgetragen. Von einem Fußballfeld war dort nicht viel zu sehen. Es handelte sich um ein großes, freies Gelände mit einem harten, von Pferdehufen zertrampelten Lehmboden. Für jedes Spiel musste das Feld neu aufgebaut werden. Für zwei Kronen bekamen die Spieler Spagat, einige Eisenstangen und eine Gießkanne mit Kalkmilch, um das Spielfeld abzugrenzen. Schon bald suchten die, damals noch in blau-rot kickenden Rapidler, nach Alternativen zu diesem mobilen Sportplatz auf der „Gstättn“.
Der erste eigene Sportplatz
Der Klubführung gelang es für sehr wenig Geld einen Pachtgrund zu erhalten. Neben dem heutigen Meiselmarkt in Rudolfsheim wurde am 15. Mai 1903 der neue „Rapid-Platz“ eröffnet. Der von den Ur-Rapidlern selbst errichtete Platz hatte ein beträchtliches Gefälle von zwei Metern und war von einer einfachen Barriere umgeben. Eine Torlinie grenzte an die Hütteldorfer Straße und die Längsseite an die Selzergasse. Mittlerweile ist dieses Gebiet längst dicht bebaut, was damals selbstverständlich noch nicht so war. Einige Häuser aus der Gründerzeit lassen jedoch auch heute noch erahnen, wo die Rapid ab 1903 ihre Spiele austrug. Eine Matchuhr gab es nicht. Die Kirchturmuhr am Kardinal-Rauscher-Platz bot Abhilfe und erinnert bei Rundgängen durch dieses Grätzel im 15. Bezirk noch an alte Zeiten. Mit dem neuen Platz stellte sich langsam auch der Erfolg ein und am 21. Juni 1903 gelang mit einem 3:0 Sieg im Entscheidungsspiel gegen den Deutschen Sportverein, Vorgänger des Wiener Sportklubs, der Aufstieg in die erste Klasse, aus der Rapid nie mehr absteigen sollte. Der Eintritt kostete 80 Heller, Schüler zahlten 40 Heller. Da es trotz großer Bemühungen der Rudolfsheimer Fußballjugend nicht gelang, ohne Eintrittsgeld zu bezahlen durchzukommen, hatten die Holzblanken um den Platz bald viele Gucklöcher und die Wohnungsfenster in der Selzergasse waren stets gut besucht. Etwas später wurde der Platz mit einer kleinen Holztribüne und einem Klubhaus ausgestattet und langsam begann dank zäher Beharrlichkeit der Aufstieg des Sportklub Rapid.
1910 wurde der Rudolfsheimer Platz jedoch von der Stadt Wien überraschend gekündigt, da an selber Stelle ein Heumarkt errichtet werden sollte.
Umzug nach Hütteldorf
Dies geschah zu einer Zeit, in der Rapid bereits in einer sportlichen, wie auch finanziellen Krise steckte. Wichtige Spieler hatten den Verein verlassen und der Bau des Rudolfsheimer Sportplatzes hatte ein tiefes Loch in der Vereinskassa hinterlassen. Der Vorstand rund um den damaligen Präsidenten Alois Hoisbauer berief den 23-jährigen Schriftsetzer Dionys Schönecker zum Sektionsleiter. Dionys Schönecker, der gemeinsam mit seinem Bruder Eduard einst selbst für Rapid spielte, machte den SCR zur erfolgreichsten Vereinsmannschaft Österreichs.
Mit viel Mut und Zuversicht setzte er auf eine junge unbekannte Mannschaft, die mit einem Kurzpass-Spiel auf ein modern werdendes System setzte. So schaffte der Verein den Weg aus der Krise. Da man nach der Kündigung des Rudolfsheimer Sportplatzes ohne Heimstätte da stand, musste Rapid im Herbst 1911 alle Spiele auf fremden Boden austragen. Mit einem 4:1 konnte das erste Spiel gegen die soeben als Abspaltung der Cricketer gegründeten Amateure, die später zur Austria wurden, souverän gewonnen werden. Diese stellten mit ihrer Reputation als großbügerlichen, dem Kapital verpflichteten City Club die Antithese zu den Arbeiterkickern aus der migrantischen Vorstadt dar. Nicht zuletzt deswegen wurde dieses Duell über Jahrzehnte zum wichtigsten Spiel im österreichischen Fußball.
Unterdessen schaffte es der Vorstand in einer Zeit, in der die Menschen mit Armut und Hunger zu kämpfen hatten, einen neuen Platz zu finden. Von der Pfarre Hütteldorf konnte eine Grünfläche gegenüber des Hütteldorfer Brauhauses gemietet werden. Mit der Projektierung des neuen Platzes im „Wald- und Wiesengürtel“ der Stadt wurde Ing. Eduard Schönecker beauftragt. Der ältere Bruder Dionys Schöneckers hatte inzwischen sein Architekturstudium abgeschlossen. Der neue Platz am sehr engen Grundstück war sein erster großer Auftrag, den er mit viel Geschick umsetzte. Die Baufirma Universale startete im Herbst 1911 mit den Bauarbeiten nach Schöneckers Plänen, sodass die Pfarrwiese am 28. April 1912 eröffnet werden konnte. Neben der Holztribüne für etwa 300 Zuschauer, die vom Rudolfsheimer Sportplatz mitgenommen und wieder aufgebaut wurde, gab es eine „sanft ansteigende Böschung“ die den Zusehern einen guten Blick auf das Spielfeld ermöglichte.
Auf der anderen Längsseite hat Eduard Schönecker „mit Holzstufen versehene Flugdächer“ aufbauen lassen, die vor Wind und Wetter schützen sollten. Damit lag die Zuschauerkapazität bei 4.000 Plätzen. Rapid lebte sich in der noblen Vorortgegend gut ein und errang in den ersten zehn Saisonen auf der Pfarrwiese sieben Meistertitel.
Das Grätzl Rapids
Das tägliche Leben spielte sich für die Rapidler jedoch weiterhin einige Kilometer stadteinwärts ab, wo die Spieler und Funktionäre wohnten und lebten. Die Wirtshäuser, Straßen, Parks und Gstätten auf der und rund um die Schmelz waren Orte der Geselligkeit und eines selbstbestimmten Lebens in einer lebendingen Vorstadt. Die dort lebenden Menschen verband vieles: ihre Herkunft aus ärmlichen, von der Solidargemeinschaft in den Dörfern und Kleinstädten Böhmens und Mährens geprägten Verhältnissen, ihr Stolz auf ein aus eigener Kraft geschaffenes Fortkommen als Arbeiter, Handwerker und Kleingewerbler in ihrer neuen Heimat, dem wachsenden, urbanen Wiener Westen. Das schweißte die Menschen ebenso zusammen wie ihr nicht minder entbehrungsreiches Leben und ihre Abneigung gegen die „Großkopferten“ stadteinwärts, über dem Gürtel. Inmitten dieser klassenbewussten Gemeinschaft wurde der SK Rapid relativ rasch zu ihrem Boten und Aushängeschild. Geradezu exemplarisch für dieses Milieu sind die aus Böhmen stammenden Familien Holub und Kochmann, die als Gastwirte, Funktionäre und auch Spieler (Leopold Nitsch heiratete in die Fam. Kochmann ein) das Herz der Schmelzer Rapid bildeten: Kochmanns „Stefaniesäle“ und das Café Holub waren von den Anfängen um 1900 bis in die 1950er-Jahre Vereinsheim, Sekretaritat und Alltagstreff in einem.
Es war eine Zuwanderergegend und damals der am schnellsten wachsende Stadtteil Wiens, von wo aus sich die Menschen mit den Straßenbahnlinien 49, 50 und 52, sowie mit der Stadtbahn bequem Richtung Hütteldorf begaben. Sofern sie es sich leisten konnten, denn auch die Nachkriegszeit war von Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise und Geldentwertung dominiert. Trotzdem verloren die Wiener nichts an Lebenslust und besonders der (Fußball-)Sport wurde nach dem Ersten Weltkrieg immer populärer, sodass auch die Pfarrwiese dem Zuschauerandrang bald nicht mehr gewachsen war.
Mit Zuschauerzahlen von 20.000 wurde ein Ausbau nötig und abermals wurde Eduard Schönecker mit der Planung des Ausbaus beauftragt. Auf der Südseite wurde eine neue Sitzplatztribüne aus Beton und Holz gebaut. Die Stehplätze auf der Nordseite bekamen Betonstufen und im oberen Bereich der Tribüne wurde ein Holzdach errichtet. Auch das Spielfeld wurde um fünf Meter verbreitert. Damit konnte ein Fassungsvermögen von 25.000 Personen erreicht werden. Für „normale“ Meisterschaftspiele reichte das aus. Bei großen Spielen im immer mehr zur „Fußballstadt Europas“ werdenden Wien reichte das jedoch nicht aus. Immer wieder wurde für große Schlachten auf die Hohe Warte ausgewichen, wo sich im März 1924 beispielsweise 40.000 Fans das Spiel gegen den Sportklub ansahen. Den Vorschlag der Stadt Wien, in ein geplantes, riesiges National-Stadion nach Schönbrunn oder in den Schönbrunner Vorpark (dem heutigen Auer-Welsbach-Park) umzuziehen, lehnte Rapid aus finanziellen Gründen ab. Lieber blieb man in der kleinen und stilvollen Sportanlage in Hütteldorf, wo bereits damals eine einzigartige Atmosphäre herrschte. Die Pfarrwiese war langsam zur Kultstätte geworden. Inspiriert vom »Tempo, Magyarók!“ der ungarischen Schlachtenbummler wurde hier Anfang der 1920er-Jahre das Klatschritual der Rapidviertelstunde geboren, die den Siegeswillen und Kampfgeist des SK Rapid wie kein anderes Merkmal charakterisiert.
Hochemotionaler Anhang
Bei einem Spiel am 28. September 1924 gegen Hakoah (1:1), bei dem laut rapidarchiv.at 30.000 Zuschauer gewesen sein sollen, ging es heiß her. Die „Wiener Sonn- und Montagszeitung“ berichtete voller Empörung: „Einzig und allein der Verdienst des Schiedsrichter Schmieger ist es, wenn dieses Spiel, der Clou des gestrigen Fußballsonntags, nicht nur zu Ende geführt, sondern auch in regulären Bahnen gehalten wurde.
Ein Teil des Publikums schien mit der Absicht auf den Platz gekommen zu sein, um Radau zu machen und das Spiel vom Zuschauerraum zu entscheiden. Die Hütteldorfer Parteigänger wollten unbedingt ‚ihre’ Revanche für die letzte schwere Niederlage ihrer Mannschaft haben und als es ihnen gelang, die Spieler – die ja jetzt als Professionals zu viel zu verlieren haben, um nicht besonnen zu bleiben – aufzuhussen, sollte der Schiedsrichter daran glauben. Der Anhang der Krieauer besteht gewiss auch nicht aus ‚Unschuldslämmern’ und sparte ebenfalls nicht mit ausgiebigen Geschrei. Unter solchen Umständen ging es gestern auf dem Rapid-Platze zeitweise recht turbulent zu. Das beliebteste Objekt der Beflegelung blieb dem radaulustigen Teil der Zuschuauer der Schiedsrichter und es ist nicht zu viel gesagt, wenn festgestellt wird, dass jede irgendwie wichtigere Entscheidung Schmiegers, sofern sie nicht zugunsten Rapids fiel, mit unerhörtem brüllendem Protest beantwortet wurde. […] Das Benehmen eines Teiles des Hütteldorfer Publikums, über das schon viele auswärtige Mannschaften Klage geführt haben, darf aber heute nicht mehr achtlos übergangen werden. […] Es passt durchaus zu den geschilderten Vorgängen, das Schmieger auf dem Weg zur Kabine beschimpft und bespuckt wurde!“
Besonders bei Derbys wurde es öfter hektisch. Am 6. Mai 1934 wurde das Spiel beim Stand von 2:2 abgebrochen. Nach einem schweren Foul eines Austrianers stürmten erboste Anhänger auf den Platz und bewarfen die Austrianer mit Steinen und Kracherlflaschen.
Austrofaschismus und Nationalsozialismus
Mit der Eröffnung des Wiener Stadions (1931) wurde bei großen Spielen wie dem Derby oder bei Mitropa- und Europacup Begegnungen im Prater gespielt. Ab 1933 war die politische Lage neuerlich prekär. Sowohl im faschistischen Ständestaat unter Engelbert Dollfuß als auch später unter dem nationalsozialistischen Regime durchlebte der Sport viele Umstrukturierungen.
Rapid verstand es stets sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen und profitierte vom Ruf des „bodenständigen und kampfstarken“ Vereins. Gleichzeitig wurden auch Rapidler vertrieben, ermordet oder starben im Krieg. 1938 holte Rapid den „Tschammer-Pokal“, einen Wanderpokal für den deutschen Cupsieg in der NS-Zeit.
Gleichzeitig mit dem Überfall auf die Sowjetunion holte Rapid 1941 die großdeutsche Meisterschaft, um die sich verschiedene Mythen hielten, deren Wahrheitsgehalt jedoch nie nachgewiesen werden konnten. Neben den beiden jüdischen NS-Opfer Wilhem Goldschmidt und Fritz Dünnmann fanden mindestens noch elf aktive und ehemalige Mitglieder der Fußball-Sektion im Krieg den Tod. Der Rapid-Verteidiger Fritz Durlach wurde wegen Quälerei und Misshandlungen als Kriegsverbrecher zu einem Jahr schweren Kerker verurteilt.
Die glorreichen 50er Jahre
Nach dem Krieg baute Trainer Hans Pesser die legendäre Rapid Mannschaft der 50er auf, die wohl die beste Rapid aller Zeiten war und zu den stärksten Klubmannschaften Europas zählte. Die klassische Aufstellung dieses Wunderteams: „Tiger“ Walter Zeman, „Wödmasta“ Ernst Happel, Max Merkel, Leopold Gernhardt, „Gschropp“ Gerhard Hanappi, „Tausendsassa“ Franz Golobic, Robert Körner („Körner I“), Hans Riegler, Robert Dienst, „Mopsl“ Erich Probst, Alfred Körner (Körner II). Das Team schoss Tore am fließenden Band und fegte beispielsweise Arsenal in Brügge mit 6:1 vom Feld. Der glorreiche 3:1 Sieg gegen Real Madrid 1956 ereignete sich im Wiener Stadion und konnte dank einer neuen Flutlichtanlage erstmals am Abend ausgetragen werden.
1961 kam es auf der Pfarrwiese neuerlich zu einem Skandal. Nach einer Fehlentscheidung des Schiedsrichters stürmten Rapidler aufs Feld und attackierten den Torwart von Wacker. Es kam zum Spielabbruch und der Polizeiarzt schloss innere Verletzungen bei Torwart Pesser nicht aus. Auch nach dem Abbruch kam es zu Raufszenen und die Polizei räumte schließlich den Rapid-Platz. Daraufhin erhielt der Verein eine Platzsperre von drei Spielen. Doch bereits zwei Wochen später kam es bei einem Europacup-Halbfinalspiel gegen Benfica im Prater-Stadion neuerlich zu Zuschauerausschreitungen und das Spiel wurde ebenfalls vorzeitig beendet. „Einige tausend Jugendliche begannen kurz nach dem Abbruch des Spieles Sitzbänke zu demolieren, das Dach der Rundfunkkabine abzutragen sowie aus zusammengetragenem Papier Feuer zu entzünden. Sowohl auf den Zuschauertribünen als auch auf dem Spielfeld, das gestürmt worden war, kam es zu Raufereien. Einschreitende Polizei wurde mit allen möglichen Gegenständen, darunter auch Steinen, bombardiert. Erst als namhafte Polizeiverstärkungen eingelangt waren, gelang es langsam, Spielfeld und Zuschauertribünen zu räumen.“
Tor im Osten
Die Pfarrwiese hatte einige Eigenheiten, die den Gegnern das Leben schwer machte. Eine besondere Spezialität stellte der Tunnel dar, durch den die Spieler mussten, um das Feld zu betreten. Es war eng und dunkel und bereits dort wurde den Spielern der Gastmannschaft die Schneid abgekauft. Unter anderem schossen die Spieler Rapids, welche nach den Gästen durch den Tunnel liefen, Bälle gegen die Tunnelwand, um die Gegner im dunklen Tunnel zu verängstigen. Außerdem soll es auf ca. 1,7 Metern Höhe eine Eisentraverse gegeben haben, an der sich die Spieler der anderen Mannschaften oftmals die Schädel anschlugen. Hans Krankl gestand nach seiner aktiven Karriere: „Es gab niemanden, der durch den Tunnel kam und dem keine Gänsehaut über den Rücken gelaufen ist“.
Die Legende erzählt, dass auf der Pfarrwiese Tor nicht gleich Tor war. Im Training wurde auf das „Tor im Osten“ gespielt, weshalb dieses Tor bei den gegnerischen Torhütern besonders gefürchtet war, die Rapid-Spieler kannten dort nämlich jede Unebenheit, jeden Grashalm.
Das Rapid-Eck
Auch der Ursprung des Block West findet sich in gewisser Weise schon auf der Pfarrwiese, und zwar im von den Zeitgenossen sogenannten „Rapid-Eck“ der Westrampe Richtung Süd. Dort standen schon in der Zwischenkriegszeit die fanatischsten und lautesten Anhänger. Von hier aus wurde die Rapid-Viertelstunde eingeklatscht, und auf der West der Pfarrwiese nahm mit den Fahnenschwenkern Anfang der 1970er-Jahre auch die jugendliche Fankultur, wie wir sie heute kennen, ihren Ausgang.
Die Pfarrwiese verwitterte langsam vor sich hin und während sich der Fußball und besonders auch die Infrastruktur international weiterentwickelten, verlor Rapid immer mehr an Boden zur europäischen Spitze, der letztendlich bis heute nicht mehr aufgeholt werden konnte. Es fehlte an professionellen Trainingsmöglichkeiten wie auch an einer Flutlichtanlage. Der Zuschauerandrang ließ drastisch nach. Waren am 18. Jänner 1956 noch fast 30.000 Zuschauer beim Europacup Spiel gegen Milan, so fanden sich bei selbigen Gegner 1973 nur mehr 4.000 Personen in Hütteldorf ein.
Weststadion
Ende der 1960er-Jahre kam der Plan auf, über die Pfarrwiese hinweg einen Stelzenautobahnzubringer zum Flötzersteig zu bauen. Dieses Projekt wurde zwar aufgrund von Bürgerprotesten verworfen, das Ende der Pfarrwiese war jedoch besiegelt. Abermals wurde ein Rapidler mit der Planung einer neuen Heimstätte unweit des alten Platzes beauftragt. Ing. Gerhard Hanappi, der nach seiner großen Karriere als Spieler ein Architekturstudium absolvierte, nahm für die Stadt Wien das Projekt Weststadion in Angriff. Am Areal auf dem früher eine Gemüsegärtnerei zuhause war, wurde bereits 1971 mit den Bauarbeiten begonnen, jedoch verzögerte sich der geplante Eröffnungstermin 1974 enorm. Es kam zu zahlreichen Adaptierungen, die besonders finanzielle Gründe hatten. Eine folgenreiche Abänderung von Hanappis Plänen war eine 90 Grad Drehung, die das Weststadion zum windigen „Vogelhäusl“ machte. Das erste Bewerbspiel fand am 30. Juni 1976 statt. Es handelte sich dabei um das Finale der Schülerliga, das 6.000 Zuschauer mitverfolgten. Im ersten Meisterschaftsspiel im Weststadion besiegte Rapid die Austria am 10. Mai 1977 vor 14.500 Zuschauer mit 1:0. Zu dieser Zeit waren die Bauarbeiten im Außenbereich noch nicht zur Gänze fertig gestellt, weshalb die offizielle Eröffnung erst am 14. September mit einem UEFA-Cup Spiel gegen Inter Bratislava erfolgte. Das Spiel konnte zwar mit 1:0 gewonnen werden, fand allerdings aus anderen Gründen Eintrag in die Geschichtsbücher. Nach dem Match randalierten jugendliche Rapidler in der damaligen Stadtbahn. Die Notbremse eines Zuges wurde gezogen und die Glühlampen der stehenden Zuggarnitur wurden heraus geschraubt. Auch das Schlusslicht am Ende des Wagons soll ausgelöscht worden sein. Ein nachfolgender Zug rammte diesen mit voller Wucht. 44 Menschen wurden verletzt und die Feuerwehr war mit mehr als 200 Mann im Einsatz und musste Eingeklemmte aus den Trümmern befreien. Drei junge Männer wurden festgenommen und vor Gericht für Vandalenakte belangt. Dem Lokführer des nachkommenden Zugs wurde von Sachverständigen eine Mitschuld gegeben. Er wurde zu einer bedingten Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Sperre im November 1977
Auch der Bau des Weststadions hatte ein gerichtliches Nachspiel. Im November 1977 wurde das nagelneue Stadion aufgrund von Baumängeln wieder gesperrt. Die Ursache waren Risse in einem Pfeiler der Nordtribüne. Bis zur Behebung spielte Rapid auf unterschiedlichen Plätzen (Sportclub-Platz, Hohe Warte und Horr-Platz) und kehrte im Frühjahr 1978 vorübergehend sogar wieder auf die Pfarrwiese zurück, nachdem Fans wesentlich mitgeholfen hatten, die desolate Anlage in der Winterpause wieder in Schuss zu bringen. Wenig verwunderlich konnten sich die Fans mit dem neuen Betonklotz auch nach der Wiedereröffnung zu Beginn der Saison 1978/79 nicht so recht anfreunden. Der Charme, den die Pfarrwiese versprühte, fehlte dem kalten Weststadion gänzlich.
Der langsame Weg zur Kultstätte
Nachdem Gerhard Hanappi 1980 mit gerade einmal 51 Jahren starb, wurde das Stadion 1981 nach seinem Architekten benannt. Ein Jahr später feierte Rapid mit dem bereits aus Barcelona zurückgekehrten Hans Krankl und dem genialen Mittelfeldstrategen Antonin Panenka den 25. österreichischen Meistertitel. Im letzten Spiel wurde Wacker Innsbruck mit 5:0 besiegt. Das Gerhard Hanappi Stadion war weit über seine offiziell zugelassene Kapazität gefüllt. Nach Schlusspfiff brachen alle Dämme, der Zaun vor der West fiel, als wäre er aus Pappe, und die Fans strömten aufs Feld. Von da an nahmen die Rapidler das Gerhard Hanappi Stadion als ihre Heimat an. Es folgten weitere Meistertitel und besonders durch große Europacup-Schlachten wie gegen Dynamo Dresden reifte das Hanappi langsam zur Kultstätte. Nach dem Europacup-Finaleinzug 1985 begann neuerlich eine Krise, die soweit führte, dass Anfang der Neunziger die Existenz des Vereins am Spiel stand. Dementsprechend schwach war auch der Zuschauerspruch. Auf der Meisterfeier 1988 waren beispielsweise lediglich 3.800 Zuschauer. In diese Zeit fiel auch die Geburtsstunde der Ultras Rapid und in weiterer Folge des Block West, wie wir ihn kennen. Deprimiert von der Tristesse bei Rapid und inspiriert von Reisen nach Italien begannen einige Rapidler die Ultràkultur auch in Österreich zu etablieren.
Mit dem Weggang des strengen Binder jun. im Jahr 1992 wurde der West allmählich Leben eingehaucht. Es folgten der Cupsieg 1995 und der Meistertitel 1996, sowie der Einzug ins Finale des Cups der Cupsieger. Zu Meisterschaftsspielen kamen dennoch oft nur einige tausend Zuseher.
Block West – simply the best
Großen Anteil am darauf folgenden Aufschwung hatte der seit 1992 tätige Stadionsprecher Andy Marek, der 1998 das „Klubservice“ aufbaute und damit wichtige Arbeit für den SK Rapid leistete. Nichtsdestotrotz kam das Hanappi Stadion sehr rasch in die Jahre. Mit umfangreichen Umbauarbeiten wurde dem Anfang der 2000-er Jahre entgegengewirkt. Die West- und Osttribüne wurden überdacht, das Dach der Süd- und Nordtribüne wurde erneuert und eine VIP Garage wurde gebaut. Die Zuschauerkapazität sank damit auf 18.500 Plätze. Die Fanszene entwickelte sich unterdessen ständig weiter und machte besonders ab 2003 einen beträchtlichen Teil der Faszination Stadionbesuch aus.
„Sankt Hanappi“
Rapid erlebte wieder einen regelrechten Zuschauerboom. Ab 2004 war die West mit Abos ausverkauft, wodurch sich auf der Osttribüne eine zweite Fantribüne entwickelte. Mit einem Zuschauerschnitt von fast 17.000 war Rapid in Österreich das Maß aller Dinge. Sportlich lief es ebenso hervorragend. 2005 feierte man angetrieben vom 12. Mann den 31. Meistertitel. Im Hanappi Stadion blieb Rapid in dieser Saison ungeschlagen, weshalb Trainer Hickersberger den Begriff „St. Hanappi“ prägte. Bei Gruppenspielen im Europacup wurde der Heimvorteil aufgrund des großen Interesses aufgegeben und das Ernst Happel Stadion war mehrmals ausverkauft.
2008 erlebte das Gerhard Hanappi Stadion den letzten Meistertitel. Besonders Europacup-Playoff Spiele wie jene gegen Partizan, Aston Villa und PAOK haben sich für alle Zeit ins Gedächtnis unserer Generation eingebrannt. Ebenso enttäuschende Momente, von denen es in den letzten Jahren vor dem Abriss ebenso nicht zu wenige gab. Angesichts des desolaten Zustands in dem sich das Gerhard Hanappi Stadion präsentierte, waren Veränderungen dringend notwendig. Eine Renovierung und Adaptierung wäre weder sinnvoll noch wirtschaftlich, weshalb am selben Ort ein neues Stadion entstehen soll.
Ausblick auf das neue Weststadion
Das Weststadion erweckt bei den meisten Rapidlern große Vorfreude. Erfreulicherweise wird die neue Heimat des SCR wieder in Hütteldorf sein, dennoch wissen wir noch nicht so recht, was uns erwartet und welche unerwünschten Begleiterscheinungen damit einhergehen werden. Mit mehreren altbekannten Elementen aus dem Hanappi, welche beim Stadionneubau integriert wurden, wird unsere ehemalige Heimstätte in Gedanken behalten. Änderungen wie der riesige VIP- und Businessbereich, die größere Entfernung zum Spielfeld, geschlossene Ecken, sowie ein für Wien untypisches Erscheinungsbild stimmt so manchen Rapidler jedoch zu Recht nachdenklich. Die Möglichkeit, eine neue Heimstätte im altgewohnten Stil zu errichten, ohne sich dem Wettbewerb entziehen zu müssen, stellt sich für den SK Rapid im 21. Jahrhundert bedauerlicherweise nicht mehr. Die ohnehin seit Jahren fortschreitende Kommerzialisierung im modernen Fußball erreicht mit dem Sponsorennamen ihren vorläufigen Höhepunkt. Ein Umstand, gegen den wir uns im Grunde schon seit Jahren wehren, letztlich jedoch eingestehen müssen, dass wir hier nicht genug entgegenzusetzen hatten. Der Unterschied zu unserer gewohnten Heimat ist enorm und viele Ereignisse, die unser Rapid-Leben geprägt haben sind in dieser Form zukünftig nicht mehr möglich. Dennoch liegt es an jedem einzelnen Rapidler – in Gedanken an alte Werte – das neue Weststadion zu einem geschichtsträchtigen Ort zu machen, an dem der Rapidgeist gelebt wird.
Dieser Text erschien bereits in ähnlicher Form im Tornados Spezial #34
Quellen:
Jakob Rosenberg/Georg Spitaler: Grün-weiß unterm Hakenkreuz. Der Sportklub Rapid im Nationalsozialismus (1938-1945). Wien 2011
Andreas Tröscher/Matthias Marschik/Edgar Schütz: Das große Buch der österreichischen Fußballstadien. Göttingen 2007
Johannes Sachslehner: Schicksalsorte des Sports. Wien-Graz-Klagenfurt 2011
Günther Allinger: Das neue Rapid-Buch. Wien 1977
Edgar Schütz/Domenico Jacono/Matthias Marschik: Alles Derby! 100 Jahre Rapid gegen Austria. Göttingen 2011
Roland Holzinger: Die Chronik 1899-1999. Waidhofen/Thaya 1999
Eric Phillipp: Das Herz von Hütteldorf. In: Ballesterer Ausgabe 94. 2014
Rapideum und persönliche Gespräche